Samstag, 1. August 2009 |
von Anke Krause |
Nach einem (nicht völlig unerwartet) mittelmäßigen Frühstück brechen wir auf in Richtung Wallis. Die Routenvorschläge von ADAC und Google Maps schlagen wir großzügig in den Wind. Dort will man uns kilometerweite Umwege über die Autobahn schicken. Wir bevorzugen aber die direkte Strecke über Landstraßen, auch wenn die laut Routenplaner mehr Zeit in Anspruch nimmt. Aber schließlich haben wir ja Urlaub und wollen etwas von der Landschaft sehen! Zunächst also einmal das Rheintal entlang. Für eingefleischte Rheinländer mutet der hier in der Nähe der Quelle seltsam niedlich an. Aber dafür fließt er mitten durch die Berge tief unter uns. Das kennt man am Niederrhein wiederum nicht so unbedingt. Die Straße führt nun stetig bergauf, zum Glück gibt die Straßenkarte nicht so genau Auskunft darüber, wie kurvig und eng es noch wird. Von der vage eingezeichneten Autoverladung am Oberalppass sage ich lieber mal nichts, um den Fahrer nicht zu beunruhigen. Wir passieren die Baustellen des Gotthard-Basistunnels, der irgendwann einmal als längster Eisenbahntunnel der Welt eröffnet werden soll. Ich weiß nicht recht, wie mir die Vorstellung gefällt, 57 Kilometer unter einem riesigen Berg durchzufahren... Aber zum Glück muss ich mir da ja jetzt keine Gedanken zu machen, denn momentan fahren wir über den Berg. Und zwar mit heftigen Kurven und ziemlichen An- und später wieder Abstiegen. Papa gerät ganz schön ins Schwitzen. Und als wir am Ende dieser Pass-Strecke endlich in Andermatt ankommen, stellen wir das Auto (mit dem schlafenden Kind) erst einmal ab, steigen aus und strecken die angespannten Knochen in alle Richtungen. Als nächstes steht uns nämlich der Furka-Pass bevor. Der ist immerhin sogar in der ungenauen Straßenkarte als ziemlich kurvig eingezeichnet. Aber davon sage ich vorsichtshalber erst mal nichts. In Andermatt leuchten uns die Hinweisschilder zum Bahnhof und zur „Autoverlad Furka“ entgegen. Wäre das nicht etwas? Am Bahnhof gibt es sogar Informationsmaterial und einen Fahrplan dazu. Ich bedanke mich freundlich bei dem netten Bahnbediensteten und wedle schon von weitem mit meiner Beute. Papa will sich so schnell aber nicht geschlagen geben, betritt ebenfalls noch einmal das Bahngebäude und fragt den Mann am Schalter, ob der Furka-Pass schwierig zu fahren ist und ob die Strecke gut ausgebaut ist. Die Antwort ist leider nicht sehr ergiebig: „Kann ich nicht sagen, ich bin da schon ewig nicht mehr gefahren. Da müssen Sie übrigens hie am Bahnhof links fahren, dann nochmal links und dann in Richtung Realp“. Na gut, dann nicht, testen wir halt selbst. Und die Richtungsangabe widerspricht heftig unserem eigenen Orientierungssinn, vermutlich hatte der gute Mann etwas falsch verstanden und wollte uns zurück zum Oberalp-Pass schicken. Also suchen wir unseren eigenen Weg. Durch enge Gassen winden wir uns aus Andermatt hinaus und erreichen gefühlte Stunden später ziemlich entnervt dann endlich wieder die Hauptstraße. Das, was der Bahnhofsmensch uns vorgeschlagen hatte, war wohl die Ortsumgehung...
Nach ca.10 Kilometern erreichen wir Realp. Hier geht die Pass-Straße los. Todesmutig reiht Papa sich in die Kolonne von Autos ein, die das Abenteuer in Angriff nehmen wollen. Aber schon nach ein paar hundert Metern ist die Entscheidung gefallen: Wir wenden und suchen die Autoverladung. Die Straße ist ziemlich eng und von oben kommen uns jede Menge rasende Motorräder entgegen. Zum Glück findet sich schon bald eine günstige Stelle zum Wenden und wir fahren zurück zur Verladestation. In 10 Minuten fährt der nächste Zug, das passt doch gut. Einigermaßen bezahlbar ist die ganze Aktion auch, wozu soll man sich also den Stress machen? Das Kind wacht auf, als wir mitsamt Auto auf dem Zug stehen und sich derselbe gerade in Bewegung setzt. „Was geht denn jetzt ab?“ Wir geben ihr erst einmal den Zettel mit den Verhaltensmaßregeln während der Fahrt. Nicht aussteigen, nichts aus dem Fenster werfen und so weiter. Die ersten Meter fahren wir noch unter freiem Himmel, dann geht es in den Tunnel. Eine Notbeleuchtung an den einzelnen Eisenbahnwagen soll wohl Panik bei Leuten mit klaustrophobischen Anwandlungen verhindern. Na ja, etwas mulmig ist mir aber doch. Und der Gotthard-Tunnel wird fast viermal so lang! 15 Minuten braucht der Zug für exakt 15,4 Kilometer, dann ist es geschafft und wir stehen im Wallis. Gemütlich ist es hier, lauter alte, fast schwarze Holzhäuser mit prächtigen Blumenkästen davor. Hier gefällt es uns, beschließen wir. Aber bis zu unserem Ziel haben wir noch etliche Kilometer im Rhonetal vor uns. Brig und Visp erscheinen uns heute am Nationalfeiertag überhaupt nicht bedrohlich, da ahnen wir nicht, wie oft wir hier an normalen Tagen noch fluchend im Stau stehen werden. Zwischenzeitlich gibt es dann sogar ein Stück Autobahn von etwa 3 Kilometern Länge. Gut, dass bei der Aral-Station darauf hingewiesen wird, dass das die letzte Tankstelle vor der Autobahn ist! Jetzt erst wieder Landstraße bis Sierre, dort geht dann die richtige Autobahn los. Für uns nur noch ein kleines Stück, denn die Wegbeschreibung des Reiseveranstalters sagt: „Sion-Est rausfahren, weiter in Richtung Val d'Herens bis Vex....“ Wir verlassen also die Autobahn in Sion-Est und – die Straße Richtung Val d'Herens ist gesperrt! Zum Glück wohl nur partiell, so fahren wir erst einmal in Richtung Sion-Zentrum und nehmen den ersten Kreisverkehr (von denen es in der Schweiz übrigens inflationär viele gibt), um wieder zurück in die richtige Richtung zu fahren. Hier geht es jetzt auch weiter, durch mehrere Kreisverkehre, dann den Berg hoch. 6 Kilometer bis Vex, sagt man uns, dort rechts abbiegen, nach 2,2 Kilometern noch einmal rechts abbiegen, dann immer weiter durch den Wald, bis man am Ortseingangsschild von Les Collons steht. Das hört sich so einfach an, von den 24 Serpentinen (die haben wir später irgendwann einmal gezählt) hat uns aber niemand etwas gesagt. Wieder einmal ist heftiges Schwitzen und angespannte Stille angesagt. Und als wir endlich oben sind, bring das Kind nur noch „Mir ist schlecht“ hervor. Kein Wunder, wenn man bei so einer Straße hinten im Auto liest!
Ein erster Blick auf den Ferienort: Große Wohnblocks mit Ferienwohnungen, so weit das Auge reicht. Ein echter Retortenort, wohl vorwiegend zum Skifahren geeignet. Aber vermutlich ist wenigstens die Wohnung nett. Die Agentur, die uns den Schlüssel zu unserem Quartier aushändigen wird, ist schnell gefunden. Leider vor uns schon von unzähligen anderen Leuten. So stehen wir jetzt erst einmal Schlange und lassen den Ort auf uns wirken. Ein großer Lageplan an der Bürowand verrät uns, dass unsere Unterkunft am anderen Ende des Ortes liegt, ganz in der Nähe eines Sessellifts, eines Restaurants und eines Supermarkts.Hört sich doch gar nicht so schlecht an. Irgendwann nach mehreren gefühlten Stunden sind wir dann endlich dran, bekommen zwei Schlüssel, müssen einen Betrag für Nebenkosten und Kurtaxe zahlen, der uns erst einmal schlucken lässt und bekommen dann eine Erläuterung, wie wir die Wohnung am besten erreichen: Am Sessellift rechts fahren, zum Ausladen vor dem Haus stehen bleiben, ansonsten auf dem Parkplatz 50 Meter entfernt parken. Wenn dort nichts mehr frei ist, kann man auch einfach an der Straße stehen. Ach ja, und eine Wanderkarte hätten wir gerne noch. Die Dame hält das zwar offensichtlich für eine Zumutung, aber immerhin bückt sie sich dann doch, um uns einen Plan von Ort und Umgebung auszuhändigen, wenn auch sichtlich gequält.
So, jetzt aber auf zum Quartier, schließlich wollen wir noch etwas vom Tag haben. Bis zum Sessellift und dann rechts - äh – da ist nur keine Straße. Alles, was es dort gibt, ist ein ausgewaschener, steil bergauf führender Wanderweg. Und weiter oben: unser Ferienhaus, eins von insgesamt 10 gleichen Reihenhäusern. Wir können es gar nicht glauben, aber andere Autos stehen auch schon dort oben. Also wagt Papa es todesmutig, legt den ersten Gang ein und quält das Auto die nächsten 300 Meter über den Wanderweg nach oben. Erstmals kommt von der Rückbank der Aufschrei, der uns den den ganzen Urlaub begleiten wird: „Das arme kleine Flachlandauto!“ Das letzte Haus am Ende der Reihe ist unseres, also müssen wir ganz hoch. An dem Parkplatz kommen wir auch vorbei, da passen theoretisch vielleicht 6 Autos drauf, schon etwas knapp für 10 Häuser für jeweils 8 Personen. Aber das ist eben die pure Theorie, denn von den 6 Plätzen sind mindestens 3 durch ein Holzhaus blockiert, das vermutlich im Winter Skiutensilien beherbergen soll. Also doch die Straßenlösung zum Parken! Aber jetzt erst mal Wohnungsbesichtigung. Der Weg dorthin wird uns durch ein zweites Holzhaus versperrt, das direkt vor unserer Haustür aufgebaut ist. Also Slalom laufen. Aufschließen und - jetzt schlägt uns erst mal Tabakgeruch entgegen. War das nicht eigentlich ein Nichtraucherquartier? Die Begehung ergibt: im oberen (Eingangs-)geschoss 3 Schlafzimmer, davon eins mit Stapelbetten. In diesem Zimmer lässt sich das Fenster nicht richtig öffnen, weil der Kleiderschrank halb davor steht. Dafür geht in einem anderen Zimmer die Schranktür nicht auf, die wird vom Nachttisch blockiert. Bad mit Wanne, Duschvorhang, Lüftung, die halb verschimmelt aus der Decke hängt. Balkon mit 2 Stühlen uns Wäscheständer. Dann weiter ins untere Geschoss: Wohn-Essbereich mit Küchennische. Tisch mit 8 Stühlen, an denen aber eigentlich nur 6 passen. Die restlichen beiden werden kurzerhand in irgendwelche Ecken verbannt. Immerhin gibt es eine Geschirspülmaschine und einen Flachbildfernseher. Bad mit Dusche, ein weiteres Schlafzimmer mit 2 Betten und einem Kleiderschrank, der wiederum das Fenster blockiert.
„Das nehme ich“ beschließt das Kind. Vernünftigerweise, wie ich finde, damit ist auch der Badezimmerstau etwas entzerrt. Von Energiesparen hält man hier viel, sämtliche Lampen sind mit Energiesparleuchten ausgestattet. Eine Optik, die man mögen muss. Der Tisch im Wohnzimmer lässt sich nur unter Zuhilfenahme mehrerer Zeitschriften zu einem stabilen Stand überreden, die Gardinenstange war wohl schon einmal durchgebrochen und ist jetzt mit Klebeband fixiert. Über den verlotterten Zustand der gesamten Einrichtung (inklusive ungezählter zersprungener Bodenfliesen) möchte ich hier lieber kein Wort mehr verlieren.Weingläser gibt es auch nicht, dafür aber ein Käsefondue-Set. Im Moment fehlt und noch etwas die Phantasie, wie wir es hier zwei Wochen lang aushalten sollen. Wenigstens kann man auf der Terrasse sitzen und den Blick in die Landschaft genießen. Denken wir. Die Terrasse befindet sich in baustellenähnlichem Zustand, der Tisch ist nahezu unbrauchbar angesichts der ganzen Trümmerbrüche an Beinen und Platte. Und im Übrigen wird hier morgens die Sonne derartig draufscheinen, dass das Frühstück ohnehin besser zur Indoor-Veranstaltung wird. Ach ja, und wo wir schon mal beim Thema Baustelle sind: das unmittelbar benachbarte Grundstück ist eine solche, hier wird soeben ein weiteres Haus gebaut. Freuen wir uns also auf Montag! Aber gut, es hilft alles nichts, wir packen unsere Sachen aus und versuchen, uns einigermaßen einzurichten. Gar nicht so einfach, eine 155c m breite Bettdecke in einen 135er Bezug zu stopfen, ohne dass es zu sehr klumpt. Die Alternative wäre ein dickes Federbett aus dem Nachbarzimmer, das ist schmaler, aber viel zu warm. Zwischendurch kommt die Putzfrau und bringt uns eine Mülltüte und zwei Rollen Klopapier. Ist doch wenigstens etwas, auch wenn wir in Lindau schon in weiser Voraussicht ein ganzes Paket davon erstanden haben. Man weiss ja nie!
So, jetzt schnell noch ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt beschaffte, der hat nämlich trotz Nationalfeiertag heute geöffnet, haben wir gesehen. Milch, Butter, Käse, Mineralwasser, das sollte uns zusammen mit unseren Lindau-Einkäufen übers Wochenende bringen. Und nun noch ein Bier! Das Restaurant hat auch einen Outdoor-Bereich: 4 oder 5 (besetzte) Tische auf einem schmalen Balkon mit Blick ins Tal und einige weitere auf dem kommunalen Parkplatz mitten zwischen Autos. Unendlich gemütlich, aber der Durst ist so groß, das uns das jetzt egal ist. Vater und Tochter bestellen sich noch gleich ein Stück Kuchen dazu, Aprikosenkuchen natürlich, die wachsen schließlich hier wie Unkraut! Die Butter ist fast flüssig, als wir mit unseren Tüten wieder in der Wohnung ankommen. Gut, dass ich den Kühlschrank bei der Ankunft gleich auf höchste Stufe gestellt habe!
Jetzt sichten wir erst einmal das Karten- und Informationsmaterial und müssen feststellen, dass unsere Pläne, ausgiebig zu wandern und dabei nette Hütten aufzusuchen, daran scheitern werden, dass es einfach keine netten Hütten gibt. Warum hat uns das bloß niemand vorher gesagt? Also wohl doch eher Autowandern. Papa wird schon ganz schlecht bei dem Gedanken an die 24 Serpentinen und das Kind wiederholt „Das arme kleine Flachlandauto!“. Aber das ist Programm ab morgen, heute wollen wir nur noch den Ort besichtigen, irgendwo nett sitzen und etwas essen und anschließend den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag beiwohnen. Die Ortsbesichtigung ist schnell erledigt, es gibt einfach nichts zu besichtigen.Und nett sitzen kann man auch eigentlich in keinem der 4-5 Restaurants. Wir sind schon so weit, zur Wohnung zurück zu gehen und Spaghetti ins Wasser zu werfen oder im Nationalfeiertags-Festzelt eine Bratwurst zu essen, da entdecken wir am höchsten Punkt des Ortes ein weiteres Restaurant, das nicht ganz so ungemütlich aussieht wie alle anderen. Im Gegenteil, es ist sogar ganz hübsch und einen freien Tisch gibt es auch. Sogar Walliser Spezialitäten kann man hier bestellen. Nur unsere Bitte, uns zwei von den Weingläsern zu verkaufen, will man uns nicht erfüllen. Also müssen wir wohl doch aus Wasser- oder Schnapsgläsern trinken.
Auf dem Rückweg in den Ort kommen wir an den Feuerwerkern vorbei, die von der Straße aus um 22.30 Uhr das Nationalfeuerwerk zünden werden. Das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen! Bis dahin gibt es noch einen Laternenumzug, bei dem jede Menge Kinder (vermutlich alles Touristen aus Holland) jede Menge illuminierte rote Kugeln mit weißem Kreuz durch die Straße tragen. Direkt darauf folgt eine Tschingderassabumm-Kombo und zieht direkt ins Festzelt weiter, wo sie die weitere Beschallung übernimmt. Wir erstehen eine kleine Flasche Wein mit zwei Plastikbechern und warten jetzt aufs Feuerwerk. Irgendwann geht es dann tatsächlich los, stundenlang, so dass man nachher einen völlig verspannten Nacken hat. Und auch ganz nett. Aber insgeheim fanden wir alle das Feuerwerk beim deutsch-russischen Fest zu Hause in Berlin eindrucksvoller. Immerhin haben wir jetzt fürs erste Gefäße, aus denen wir auch in der Wohnung mal ein Glas Wein trinken können.
Auf dem Heimweg fängt es vorsichtig an zu tröpfeln, wir legen einen Schritt zu und erreichen unsere Luxusherberge trockenen Fußes. Eine Runde Skat gibt es noch, ein paar Überlegungen für das morgige Programm („Bei schlechtem Wetter fahren wir an den Genfer See, bei gutem wird gewandert, auch ohne Hütten“).
Wir sind gespannt auf die erste Nacht in 1800 Metern Höhe und die Qualität der Betten.
Nach ca.10 Kilometern erreichen wir Realp. Hier geht die Pass-Straße los. Todesmutig reiht Papa sich in die Kolonne von Autos ein, die das Abenteuer in Angriff nehmen wollen. Aber schon nach ein paar hundert Metern ist die Entscheidung gefallen: Wir wenden und suchen die Autoverladung. Die Straße ist ziemlich eng und von oben kommen uns jede Menge rasende Motorräder entgegen. Zum Glück findet sich schon bald eine günstige Stelle zum Wenden und wir fahren zurück zur Verladestation. In 10 Minuten fährt der nächste Zug, das passt doch gut. Einigermaßen bezahlbar ist die ganze Aktion auch, wozu soll man sich also den Stress machen? Das Kind wacht auf, als wir mitsamt Auto auf dem Zug stehen und sich derselbe gerade in Bewegung setzt. „Was geht denn jetzt ab?“ Wir geben ihr erst einmal den Zettel mit den Verhaltensmaßregeln während der Fahrt. Nicht aussteigen, nichts aus dem Fenster werfen und so weiter. Die ersten Meter fahren wir noch unter freiem Himmel, dann geht es in den Tunnel. Eine Notbeleuchtung an den einzelnen Eisenbahnwagen soll wohl Panik bei Leuten mit klaustrophobischen Anwandlungen verhindern. Na ja, etwas mulmig ist mir aber doch. Und der Gotthard-Tunnel wird fast viermal so lang! 15 Minuten braucht der Zug für exakt 15,4 Kilometer, dann ist es geschafft und wir stehen im Wallis. Gemütlich ist es hier, lauter alte, fast schwarze Holzhäuser mit prächtigen Blumenkästen davor. Hier gefällt es uns, beschließen wir. Aber bis zu unserem Ziel haben wir noch etliche Kilometer im Rhonetal vor uns. Brig und Visp erscheinen uns heute am Nationalfeiertag überhaupt nicht bedrohlich, da ahnen wir nicht, wie oft wir hier an normalen Tagen noch fluchend im Stau stehen werden. Zwischenzeitlich gibt es dann sogar ein Stück Autobahn von etwa 3 Kilometern Länge. Gut, dass bei der Aral-Station darauf hingewiesen wird, dass das die letzte Tankstelle vor der Autobahn ist! Jetzt erst wieder Landstraße bis Sierre, dort geht dann die richtige Autobahn los. Für uns nur noch ein kleines Stück, denn die Wegbeschreibung des Reiseveranstalters sagt: „Sion-Est rausfahren, weiter in Richtung Val d'Herens bis Vex....“ Wir verlassen also die Autobahn in Sion-Est und – die Straße Richtung Val d'Herens ist gesperrt! Zum Glück wohl nur partiell, so fahren wir erst einmal in Richtung Sion-Zentrum und nehmen den ersten Kreisverkehr (von denen es in der Schweiz übrigens inflationär viele gibt), um wieder zurück in die richtige Richtung zu fahren. Hier geht es jetzt auch weiter, durch mehrere Kreisverkehre, dann den Berg hoch. 6 Kilometer bis Vex, sagt man uns, dort rechts abbiegen, nach 2,2 Kilometern noch einmal rechts abbiegen, dann immer weiter durch den Wald, bis man am Ortseingangsschild von Les Collons steht. Das hört sich so einfach an, von den 24 Serpentinen (die haben wir später irgendwann einmal gezählt) hat uns aber niemand etwas gesagt. Wieder einmal ist heftiges Schwitzen und angespannte Stille angesagt. Und als wir endlich oben sind, bring das Kind nur noch „Mir ist schlecht“ hervor. Kein Wunder, wenn man bei so einer Straße hinten im Auto liest!
Ein erster Blick auf den Ferienort: Große Wohnblocks mit Ferienwohnungen, so weit das Auge reicht. Ein echter Retortenort, wohl vorwiegend zum Skifahren geeignet. Aber vermutlich ist wenigstens die Wohnung nett. Die Agentur, die uns den Schlüssel zu unserem Quartier aushändigen wird, ist schnell gefunden. Leider vor uns schon von unzähligen anderen Leuten. So stehen wir jetzt erst einmal Schlange und lassen den Ort auf uns wirken. Ein großer Lageplan an der Bürowand verrät uns, dass unsere Unterkunft am anderen Ende des Ortes liegt, ganz in der Nähe eines Sessellifts, eines Restaurants und eines Supermarkts.Hört sich doch gar nicht so schlecht an. Irgendwann nach mehreren gefühlten Stunden sind wir dann endlich dran, bekommen zwei Schlüssel, müssen einen Betrag für Nebenkosten und Kurtaxe zahlen, der uns erst einmal schlucken lässt und bekommen dann eine Erläuterung, wie wir die Wohnung am besten erreichen: Am Sessellift rechts fahren, zum Ausladen vor dem Haus stehen bleiben, ansonsten auf dem Parkplatz 50 Meter entfernt parken. Wenn dort nichts mehr frei ist, kann man auch einfach an der Straße stehen. Ach ja, und eine Wanderkarte hätten wir gerne noch. Die Dame hält das zwar offensichtlich für eine Zumutung, aber immerhin bückt sie sich dann doch, um uns einen Plan von Ort und Umgebung auszuhändigen, wenn auch sichtlich gequält.
So, jetzt aber auf zum Quartier, schließlich wollen wir noch etwas vom Tag haben. Bis zum Sessellift und dann rechts - äh – da ist nur keine Straße. Alles, was es dort gibt, ist ein ausgewaschener, steil bergauf führender Wanderweg. Und weiter oben: unser Ferienhaus, eins von insgesamt 10 gleichen Reihenhäusern. Wir können es gar nicht glauben, aber andere Autos stehen auch schon dort oben. Also wagt Papa es todesmutig, legt den ersten Gang ein und quält das Auto die nächsten 300 Meter über den Wanderweg nach oben. Erstmals kommt von der Rückbank der Aufschrei, der uns den den ganzen Urlaub begleiten wird: „Das arme kleine Flachlandauto!“ Das letzte Haus am Ende der Reihe ist unseres, also müssen wir ganz hoch. An dem Parkplatz kommen wir auch vorbei, da passen theoretisch vielleicht 6 Autos drauf, schon etwas knapp für 10 Häuser für jeweils 8 Personen. Aber das ist eben die pure Theorie, denn von den 6 Plätzen sind mindestens 3 durch ein Holzhaus blockiert, das vermutlich im Winter Skiutensilien beherbergen soll. Also doch die Straßenlösung zum Parken! Aber jetzt erst mal Wohnungsbesichtigung. Der Weg dorthin wird uns durch ein zweites Holzhaus versperrt, das direkt vor unserer Haustür aufgebaut ist. Also Slalom laufen. Aufschließen und - jetzt schlägt uns erst mal Tabakgeruch entgegen. War das nicht eigentlich ein Nichtraucherquartier? Die Begehung ergibt: im oberen (Eingangs-)geschoss 3 Schlafzimmer, davon eins mit Stapelbetten. In diesem Zimmer lässt sich das Fenster nicht richtig öffnen, weil der Kleiderschrank halb davor steht. Dafür geht in einem anderen Zimmer die Schranktür nicht auf, die wird vom Nachttisch blockiert. Bad mit Wanne, Duschvorhang, Lüftung, die halb verschimmelt aus der Decke hängt. Balkon mit 2 Stühlen uns Wäscheständer. Dann weiter ins untere Geschoss: Wohn-Essbereich mit Küchennische. Tisch mit 8 Stühlen, an denen aber eigentlich nur 6 passen. Die restlichen beiden werden kurzerhand in irgendwelche Ecken verbannt. Immerhin gibt es eine Geschirspülmaschine und einen Flachbildfernseher. Bad mit Dusche, ein weiteres Schlafzimmer mit 2 Betten und einem Kleiderschrank, der wiederum das Fenster blockiert.
„Das nehme ich“ beschließt das Kind. Vernünftigerweise, wie ich finde, damit ist auch der Badezimmerstau etwas entzerrt. Von Energiesparen hält man hier viel, sämtliche Lampen sind mit Energiesparleuchten ausgestattet. Eine Optik, die man mögen muss. Der Tisch im Wohnzimmer lässt sich nur unter Zuhilfenahme mehrerer Zeitschriften zu einem stabilen Stand überreden, die Gardinenstange war wohl schon einmal durchgebrochen und ist jetzt mit Klebeband fixiert. Über den verlotterten Zustand der gesamten Einrichtung (inklusive ungezählter zersprungener Bodenfliesen) möchte ich hier lieber kein Wort mehr verlieren.Weingläser gibt es auch nicht, dafür aber ein Käsefondue-Set. Im Moment fehlt und noch etwas die Phantasie, wie wir es hier zwei Wochen lang aushalten sollen. Wenigstens kann man auf der Terrasse sitzen und den Blick in die Landschaft genießen. Denken wir. Die Terrasse befindet sich in baustellenähnlichem Zustand, der Tisch ist nahezu unbrauchbar angesichts der ganzen Trümmerbrüche an Beinen und Platte. Und im Übrigen wird hier morgens die Sonne derartig draufscheinen, dass das Frühstück ohnehin besser zur Indoor-Veranstaltung wird. Ach ja, und wo wir schon mal beim Thema Baustelle sind: das unmittelbar benachbarte Grundstück ist eine solche, hier wird soeben ein weiteres Haus gebaut. Freuen wir uns also auf Montag! Aber gut, es hilft alles nichts, wir packen unsere Sachen aus und versuchen, uns einigermaßen einzurichten. Gar nicht so einfach, eine 155c m breite Bettdecke in einen 135er Bezug zu stopfen, ohne dass es zu sehr klumpt. Die Alternative wäre ein dickes Federbett aus dem Nachbarzimmer, das ist schmaler, aber viel zu warm. Zwischendurch kommt die Putzfrau und bringt uns eine Mülltüte und zwei Rollen Klopapier. Ist doch wenigstens etwas, auch wenn wir in Lindau schon in weiser Voraussicht ein ganzes Paket davon erstanden haben. Man weiss ja nie!
So, jetzt schnell noch ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt beschaffte, der hat nämlich trotz Nationalfeiertag heute geöffnet, haben wir gesehen. Milch, Butter, Käse, Mineralwasser, das sollte uns zusammen mit unseren Lindau-Einkäufen übers Wochenende bringen. Und nun noch ein Bier! Das Restaurant hat auch einen Outdoor-Bereich: 4 oder 5 (besetzte) Tische auf einem schmalen Balkon mit Blick ins Tal und einige weitere auf dem kommunalen Parkplatz mitten zwischen Autos. Unendlich gemütlich, aber der Durst ist so groß, das uns das jetzt egal ist. Vater und Tochter bestellen sich noch gleich ein Stück Kuchen dazu, Aprikosenkuchen natürlich, die wachsen schließlich hier wie Unkraut! Die Butter ist fast flüssig, als wir mit unseren Tüten wieder in der Wohnung ankommen. Gut, dass ich den Kühlschrank bei der Ankunft gleich auf höchste Stufe gestellt habe!
Jetzt sichten wir erst einmal das Karten- und Informationsmaterial und müssen feststellen, dass unsere Pläne, ausgiebig zu wandern und dabei nette Hütten aufzusuchen, daran scheitern werden, dass es einfach keine netten Hütten gibt. Warum hat uns das bloß niemand vorher gesagt? Also wohl doch eher Autowandern. Papa wird schon ganz schlecht bei dem Gedanken an die 24 Serpentinen und das Kind wiederholt „Das arme kleine Flachlandauto!“. Aber das ist Programm ab morgen, heute wollen wir nur noch den Ort besichtigen, irgendwo nett sitzen und etwas essen und anschließend den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag beiwohnen. Die Ortsbesichtigung ist schnell erledigt, es gibt einfach nichts zu besichtigen.Und nett sitzen kann man auch eigentlich in keinem der 4-5 Restaurants. Wir sind schon so weit, zur Wohnung zurück zu gehen und Spaghetti ins Wasser zu werfen oder im Nationalfeiertags-Festzelt eine Bratwurst zu essen, da entdecken wir am höchsten Punkt des Ortes ein weiteres Restaurant, das nicht ganz so ungemütlich aussieht wie alle anderen. Im Gegenteil, es ist sogar ganz hübsch und einen freien Tisch gibt es auch. Sogar Walliser Spezialitäten kann man hier bestellen. Nur unsere Bitte, uns zwei von den Weingläsern zu verkaufen, will man uns nicht erfüllen. Also müssen wir wohl doch aus Wasser- oder Schnapsgläsern trinken.
Auf dem Rückweg in den Ort kommen wir an den Feuerwerkern vorbei, die von der Straße aus um 22.30 Uhr das Nationalfeuerwerk zünden werden. Das wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen! Bis dahin gibt es noch einen Laternenumzug, bei dem jede Menge Kinder (vermutlich alles Touristen aus Holland) jede Menge illuminierte rote Kugeln mit weißem Kreuz durch die Straße tragen. Direkt darauf folgt eine Tschingderassabumm-Kombo und zieht direkt ins Festzelt weiter, wo sie die weitere Beschallung übernimmt. Wir erstehen eine kleine Flasche Wein mit zwei Plastikbechern und warten jetzt aufs Feuerwerk. Irgendwann geht es dann tatsächlich los, stundenlang, so dass man nachher einen völlig verspannten Nacken hat. Und auch ganz nett. Aber insgeheim fanden wir alle das Feuerwerk beim deutsch-russischen Fest zu Hause in Berlin eindrucksvoller. Immerhin haben wir jetzt fürs erste Gefäße, aus denen wir auch in der Wohnung mal ein Glas Wein trinken können.
Auf dem Heimweg fängt es vorsichtig an zu tröpfeln, wir legen einen Schritt zu und erreichen unsere Luxusherberge trockenen Fußes. Eine Runde Skat gibt es noch, ein paar Überlegungen für das morgige Programm („Bei schlechtem Wetter fahren wir an den Genfer See, bei gutem wird gewandert, auch ohne Hütten“).
Wir sind gespannt auf die erste Nacht in 1800 Metern Höhe und die Qualität der Betten.
zuletzt geändert: Sep 27 2009
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