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Abenteuer Estland


10.-13. August - Land ohne Leute

Von Anke Krause (anke)
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Noch ein letztes Eis und ein paar kleine Einkäufe, dann besteigen wir unsere Autos und steuern unser nächstes Quartier an: den Mäeotsa-Hof in Orjaku (bei Kassari). Gar nicht so leicht zu finden, denn wir haben den „Ort“ schon hinter uns gelassen und noch keinen Hinweis gesehen. Und fragen geht in dieser menschenleeren Gegend auch kaum. Aber mit etwas Glück finden wir im Hafen doch jemand, der und weiterhelfen kann - den Besitzer von Mäeotsa! Bei der Ankunft werden wir freudig von einem Collie begrüßt (angenehm, Lotta!), der bitte jetzt auf der Stelle mit uns Ball spielen möchte. Geht aber nicht, wir müssen erst mal unsere Quartiere in Augenschein nehmen. Man fühlt sich ungefähr hundert Jahre zurück versetzt, es sieht hier aus wie bei Michel in Lönneberga. Nur die Trissebude fehlt. Unsere Zimmer (zwei für die Eltern, ein „Kinderzimmer“) sind auf mehrere Gebäude verteilt, der Aufenthaltsraum und das Bad sind in einem weiteren Gebäude. Dumm nur, wenn man da nachts mal raus muss und es ist gerade Gewitter... Und sofort bringen wir die zur Zeit drängendste Frage an: Wo gibt es hier einen Optiker? Die Tochter des Hauses glaubt nicht, dass es auf der Insel überhaupt einen gibt, aber vorsichtshalber fragt sie ihre Mutter. Und, großes Glück, es gibt doch einen, in Kärdla nämlich. Aber ob der samstags geöffnet hat, weiss niemand, man hält es eher für unwahrscheinlich. Die nächste Frage, nämlich die nach dem Abendessen, ist schnell beantwortet: Wir gehen in DAS Restaurant. Mehr als eins gibt es nämlich nicht in der näheren Umgebung. Das ist dafür aber prima und der Mangel an Alternativen macht überhaupt nichts. Wären da nur nicht wieder diese lästigen Mücken! Wir trinken ein Bier vom Fass (25 Kronen der halbe Liter) und bekommen eines der wenigen Male in diesem Urlaub Ostseefisch – Hering mit Ofenkartoffeln nämlich. Zurück auf dem Mäeotsa-Hof fliehen wir vor den Plagegeistern uns setzen uns in den Aufenthaltsraum, um noch eine Weile zu lesen, spielen schlafen... Und rechtschaffen müde fallen wir dann in unsere Betten (Mückenjagd zwecklos, an den Holzwänden sieht man sie eh nicht). Aus dem Nachbarzimmer hört man noch ca. 60 – 70 dumpfe Schläge. Später stellt sich heraus, das war der Sound von „Hausschuh auf Wand“, verursacht von unserer Tochter. Im Laufe des Urlaubs manifestiert sich bei den beiden jungen Herren der Spruch: „Wir brauchen kein Mückenschutzmittel, wir haben ja Lena!“.

Am nächsten Tag erwartet uns ein gigantisch gutes Frühstück mit einem Getreidebrei, der anderswo vielleicht Porridge heisst, Saft, Wurst, Schinken, Käse und einem sündhaft leckeren dunklen Brot. In diesem Moment sind wir riesig froh, nicht in Frankreich Urlaub zu machen! Nun also Kärdla. 30 Kilometer auf einer vorwiegend unbefestigten Straße. Na ja, da wird halt gebaut, kann man nichts machen. Der Optiker hat tatsächlich geöffnet, zu siebt entern wir den winzigen Laden. Die Inhaberin lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen, innerhalb von 10 Minuten und unter Zerstörung einer anderen Brille zur Ersatzteilgewinnung hat unser Mitreisender wieder den vollen Durchblick. Und nun? Shoppen. Getränke, Obst, Kekse und dergleichen mehr. Der Familienrat beschließt mit 2/3-Mehrheit, an diesem 11. August die diesjährige Lebkuchen-Saison einzuläuten und bei sommerlichen Temperaturen riecht ab sofort das ganze Auto nach Kardamom, Zimt, Nelken und was eben sonst noch so in Lebkuchengewürz drin ist. Ich halte mich da eher an die Ost-Kekse, die sind nicht so süß. In der Bibliothek gibt es einen Internetipunkt, wir rufen kurz unsere Mails ab und geben Meldung an die besorgte Verwandtschaft, dass wir bei der Paddeltour völlig unerwartet doch mit dem Leben davon gekommen sind. Damit sind die Sehenswürdigkeiten von Kärdla erschöpft. Jetzt machen wir „Autowandern“ und entdecken weitere Highlights: Eine Kirche, die in einer estnischen Novelle beschrieben wird, ein weiterer Ort mit mehr als 4 Häusern und schließlich der Tuletorn von Köpu. Der ist schon ziemlich alt, immer noch in Betrieb und hat ein abenteuerliches Treppenhaus, Stufen von schätzunsgweise 30 cm Höhe in einem unglaublich engen Gang. Aber wir schaffen es trotzdem bis ganz oben und sehen – jede Menge Gegend. Wälder, Wiesen und sogar das Meer. Und weil es so schön ist und wir schon mal hier sind: es gibt ja noch einen zweiten Tuletorn ein paar Kilometer weiter. Da es aber gerade anfängt zu regnen, verzichten wir dann doch auf die Besteigung und fahren allmählich zurück Richtung Mäeotsa. Das Kind schläft und sieht nichts von der letzten Kirche dieses Tages mit angeschlossenem Friedhof. Was wir aber jetzt wissen: Auf der Straße nach Kärdla wurde zwar gebaut, aber eigentlich besteht die Insel vorwiegend aus derartigen unbefestigten Pisten. Und es ist ja nicht so, als würde man nicht darauf hingewiesen. Nun ist uns auch klar, warum hier alle Autos so unglaublich staubig aussehen. Noch ein Zwischenstopp in Käina, das sieht auf der Karte wie ein etwas größerer Ort aus, besteht aber im Wesentlichen auch nur aus einem Supermarkt, einem Hotel, dem Rudolf-Tobias-Museum und einem bißchen Lobeda drumherum. Gut, aber das Hotel hat ein Restaurant, in dem wir dann heute abend zur Abwechslung mal essen (30 Kronen für den halben Liter Bier im übrigen). Zurück auf Mäeotsa erwartet uns schon sehnsüchtig Lotta, die mit uns Ball spielen will. Und diesmal tun wir ihr den Gefallen.
Nach einer erstaunlicherweise mückenfreien Nacht noch einmal echtes Michel-Feeling. Nur dass dieser mit dem Kopf in der Suppenschüssel feststeckte, bei uns dagegen hängt einer der jungen Herren mit dem Finger nachhaltig im Henkel seiner Tasse fest. Aber mit viel Geduld und gutem Zureden kommt er doch noch ohne Doktor und ohne Scherben frei.

Frisch gestärkt zieht es uns nun zunächst ins Heimatmuseum von Kassari, nett gemacht, aber doch relativ schnell erledigt. Jetzt eine der landschaftlichen Hauptattraktionen von Hiiumaa: Der Sääre Tirp, eine Landzunge, die mehrer Kilometer weit, dabei immer schmaler werdend, ins Meer ragt. Vom Parkplatz aus ist es bis zu Spitze noch eine ganze Weile zu laufen, anfangs kapitulieren wir beinahe, denn zwischen dem Wacholdergestrüpp ist es unerträglich heiß, der Wind kommt nicht durch und die Luft steht wie in einer Sauna. Außerdem haben wir uns morgens verkalkuliert und viel zu warm angezogen. Aber irgendwann ist Ende mit Gestrüpp, der Weg besteht nur noch aus Kieselsteinen und ein hübscher Wind geht auch. Ab hier schaffen wir es dann problemlos zur Spitze und zurück. Vermutlich wird man diese Sehenswürdigkeit aber bald aus den Reiseführern streichen, denn die Landzunge ist jetzt so gut wie abgetragen, die Steine sind fast alle weg. Angesichts der Hitze beschließen wir jetzt, schwimmen zu gehen, Wo? Da ist doch ein hübscher Badestrand in der Karte eingezeichnet, versuchen wir es doch da einmal. Also zurück nach Mäeotsa, umziehen, Schwimmzeug einpacken und los. Über Stock und Stein geht es zur Westküste der Insel, wir fahren zwei Mal an der Einfahrt zum Strand vorbei und als wir endlich da sind, kommen wir uns vor wir in einer Depuradora, so riecht es hier zumindest. Und der Strand ist auch eher unappetitlich. Also wieder zurück zum Auto, War da nicht heute vormittag eine ganz nette Badestelle am Sääre Tirp? Klar, da fahren wir jetzt hin! Und dann, nachdem wir noch ein Kaarst-Loch und eine Wollfabrik (mit 100 Jahre alten immer noch funktionierenden Maschinen!) am Wegesrand besichtigt haben und diversen Menschen beim Rasenmähen zugeschaut haben, stürzen wir uns endlich in die Fluten. Und dann müssen wir schon wieder packen, denn man nächsten Tag steht der Abschied von Hiiumaa, Mäeotsa und Lotta bevor. Ein letzter Abend im wunderschönen Aufenthaltsraum, dabei erwähnenswert vielleicht folgende Szene: Der Mitreisende, der sich beruflich damit befasst und die Mitreisende, die in ihrer Freizeit kaum einen andern Gedanken zu fassen in der Lage ist, unterhalten sich über Reitsport. Der jüngste Mitreisende betritt den Raum, fragt merklich genervt in die Runde: „Geht es etwa schon wieder um Pferde?“, stöpselt sich Musik in die Ohren und zieht die Kapuze seines Pullovers über den Kopf. Würde ich ja manchmal auch gern tun, vielleicht kaufe ich mir auch mal ein Kapuzen-Sweatshirt.

zuletzt geändert: Oct 02 2008 um 16:26

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von am um
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